"Ich habe gelernt, gut auf mich zu achten"

Nathalie Haldimann (58) arbeitet bei Terra Vecchia im Bazar und bei DiPLo. Die gelernte Floristin und diplomierte Pflegefachfrau mit kreativer Ader und feinfühliger Art hat schwere Zeiten erlebt. Nach psychischen Krisen und Klinikaufenthalten ist Nathalie bei Terra Vecchia zur Ruhe gekommen. Im Interview erzählt sie, was ihre Arbeit für ihr Leben bedeutet.

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"Ich habe gelernt, gut auf mich zu achten"
"Ich habe gelernt, gut auf mich zu achten"

Nathalie, wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
Ich arbeite bei DiPLo und im Verkaufsladen Bazar. Da gibt es immer etwas zu tun, auch wenn gerade wenig Kundschaft kommt. Kleinigkeiten, die aber wichtig sind. Am Morgen starte ich immer mit einem Gespräch mit meinem Vorgesetzten Ingo oder im Bazar mit Joy. Wir planen gemeinsam den Tag. Das hilft mir sehr – ich neige nämlich dazu, zu viel machen zu wollen und musste lernen, mich nicht zu überfordern.

Was gefällt dir besonders an deiner Arbeit?
Ich liebe es, kreativ zu sein. Und mag deshalb auch das Zusatzjöbli Blumendeko, die ich für die Stiftung machen darf. Dafür fahre ich viermal im Jahr zur Blumenbörse, das ist immer ein Highlight. Ich erledige auch gerne Aufgaben, die etwas spezieller sind. Und ich bringe gerne meine Ideen ein, das gibt mir das Gefühl, dazuzugehören.

Wie bist du zu deinem angepassten Arbeitsplatz gekommen?
Ich war bis dahin noch im ersten Arbeitsmarkt tätig, aber spürte, dass das nicht mehr ging. Damals habe ich mich einfach bei Terra Vecchia beworben. Bald darauf konnte ich eine Probezeit absolvieren und durfte bleiben. Das war ein Richtungswechsel in meinem Leben.

Wie war der Einstieg für dich?
Ich hatte gerade eine längere Krise hinter mir und war noch nicht stabil. Zuerst dachte ich: „Nein, das ist nichts für mich.“ Es war mir zu viel – und gleichzeitig zu monoton. Aber das hat sich rasch geändert. Heute bin ich sehr froh, dass ich hier gelandet bin. Mein Arbeitsplatz, die Menschen und das ganze Umfeld geben mir Halt und ich fühle mich sehr wohl.

Was hast du in den letzten Jahren dazugelernt?
Gute Frage, ich denke vor allem, meine Grenzen zu erkennen. Ich hatte immer sehr hohe Ansprüche an mich selbst – das hat mich oft überfordert. Heute kann ich meine Bedürfnisse besser wahrnehmen, Prioritäten setzen, auch mal Hilfe annehmen. Ich bin oft unruhig und will immer in Aktion sein. Aber Pausen sind wichtig, das musste ich lernen. Terra Vecchia hat mir geholfen, meinen Energiehaushalt besser zu steuern.

Was bedeutet dir deine Arbeit heute, nach 10 Jahren bei Terra Vecchia?
Sehr viel, sie gibt meinem Leben Struktur, bringt mich unter Leute, ermöglicht Abwechslung – und ich kann kreativ sein. Früher ging es mir oft schlecht, ich musste regelmässig in die Klinik. Das waren happige Zeiten. Seit ich bei Terra Vecchia arbeite, hatte ich nie mehr einen Klinikaufenthalt. Meine Arbeit gibt mir Ruhe und Sinn. Und wenn ich etwas Schönes gestalte, das anderen gefällt, stärkt das meinen Selbstwert. Der war früher nicht so gut.

Was hilft dir konkret, deine Arbeit gut zu machen?
Ganz klar: die regelmässigen Gespräche mit Ingo und die gute Planung. Ich muss gut aufpassen, dass ich mich nicht überfordere. Auch das Team trägt viel dazu bei, dass ich mich wohlfühle. Und generell: Mein gutes soziales Netz, privat und beruflich, das pflege ich bewusst.

Und wie erlebst du das Team bei Terra Vecchia?
Es ist eine grosse Familie, mit einigen treffe ich mich auch in der Freizeit. Hier werde ich gesehen, wertgeschätzt und als Mensch wahrgenommen. Das ist ein schönes Gefühl.

Gibt es etwas, worauf du dich in der nächsten Zeit besonders freust?
Ja! Im September darf ich eine Woche im EinLaden der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) hospitieren. Das ist ein herziges Lädeli und mich interessiert, wie sie dort arbeiten. Ich hoffe, dass ich viel dazulernen kann.

Welche Wünsche oder Ziele hast du?
Ich möchte stabil bleiben und die Balance zwischen Arbeit und Privatleben halten können. Ein paar Operationen in letzter Zeit haben mich immer wieder ausgebremst, deshalb freue ich mich darauf, bald wieder ganz normal arbeiten zu können.

Was würdest du jemandem sagen, der unsicher ist, ob er oder sie wieder arbeiten kann?
Ich würde sagen: einfach mal ausprobieren. Wenn man das richtige Umfeld findet, kann Arbeit unglaublich stärkend sein. Sie gibt Struktur, Sinn und das Gefühl, gebraucht zu werden.

Angepasste Arbeitsplätze

Menschen mit einer IV-Rente können oft nicht (mehr) im ersten Arbeitsmarkt bestehen – sei es aufgrund einer psychischen, körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht arbeiten können: In einem geschützten Rahmen, mit angepasstem Pensum und passenden Aufgaben, leisten sie einen wichtigen Beitrag.
In der Stiftung Terra Vecchia arbeiten derzeit 48 Personen in einem sogenannten angepassten Arbeitsplatz. Viele von ihnen sind schon seit Jahren dabei und unterstützen die Fachteams verlässlich und engagiert – oft so selbstverständlich, dass der Unterschied kaum auffällt.